Gruppenprozesse

Wer geht in eine Selbsthilfegruppe?

Motive

Menschen gehen aus unterschiedlichen Gründen in eine Gruppe. Eine Reihe von Beweggründen taucht immer wieder auf:

”Leidensdruck”: erkennen, dass man in einer Lage ist, die das bisherige Leben in Frage stellt und mit der man allein nicht fertig wird.

“Prinzip Hoffnung”: überzeugt sein, dass die Lage nicht aussichtslos ist. Wer in eine Selbsthilfegruppe geht, sollte anerkennen, dass er selbst etwas zur Besserung seiner Situation beitragen kann.

Bedürfnisse nach Information und Orientierung: Klarheit über die eigene Situation und über therapeutische Alternativen erhalten.

Suche nach Alternativen: Einige Betroffene suchen in der Selbsthilfegruppe gezielt eine Alternative zu bestehenden Behandlungsformen.

Soziale Bedürfnisse: der Wunsch die eigene Isolation zu überwinden und auf Menschen mit Verständnis zu treffen.

Soziales Engagement: der Wunsch, anderen Menschen zu helfen oder sich für die Lösung eines Problems einzusetzen.

Befürchtungen

Es gibt auch eine Reihe von Befürchtungen, die beim Schritt in die Selbsthilfegruppe eine Rolle spielen:

“Fremdeln”: Man trifft auf Menschen, die man nicht kennt.

“Der Blick in den Spiegel”: Vor sich und anderen zuzugeben, dass man ein Problem hat, das man alleine nicht in den Griff bekommt, fällt nicht leicht. Besonders Männer haben hier oft Schwierigkeiten.

“Angst um den guten Ruf”: der Gedanke “Was denken andere über mich, wenn sie erfahren, dass ich unter einem psychischen Problem leide?”

Erwartungen und Befürchtungen sollten in der Gruppe besprochen werden. Das schafft Vertrauen und Zuversicht und sorgt für gegenseitiges Verständnis.

Wie funktioniert Selbsthilfe?

Selbsthilfe beruht auf einem “emotionalen Prozess der Selbstanalyse”. Was heißt das?

Jeder hilft sich selbst. Die Gruppe bildet dabei den Rahmen, in dem diese Selbsthilfe stattfinden kann. Sie sorgt für ein Klima der Geborgenheit und Offenheit.

Selbstanalyse heißt zunächst Selbstverantwortung: Jeder übernimmt für seine Situation die Verantwortung. Das heißt nicht, dass man “schuld” an seiner Situation ist, sondern, dass man erkennt, dass man selbst etwas unternehmen muss, wenn sich etwas ändern soll.

Früher oder später wird man darauf stoßen, dass das eigene Leiden nicht nur etwas mit “schmerzlichen” äußeren Erfahrungen zu tun hat, sondern auch mit der eigenen Einstellung. Und man wird erkennen, in wie weit man mit seinem Verhalten zur Aufrechterhaltung des Leidenszustandes beiträgt.

Ein Beispiel: Wer sich ständig zurück gesetzt fühlt, wird vielleicht erkennen, dass er in bestimmten Situationen den “Schwanz einzieht” und deshalb übergangen wird. Vielleicht wird ihm auch bewusst, dass er das tut, weil es ihm an Selbstwertgefühl mangelt. Und vielleicht sieht er, dass darin eine tiefer gehende Erfahrung verborgen liegt, dass er z. B. als Kind gehänselt oder als Versager bezeichnet worden ist.

Weil dieser Erkenntnisprozess nicht ohne Emotionen zu haben ist, handelt es sich um einen emotionalen Prozess der Selbstanalyse. Es werden z. T. traumatische Erfahrungen wieder ans Licht gebracht, und es muss über Gefühle gesprochen werden.

Wie läuft das ab? Indem man sieht, was in der Gruppe gerade passiert. Um beim vorigen Beispiel zu bleiben: Wer sich zurück gesetzt fühlt, wird das früher oder später auch in der Gruppe erleben. Er wird seine ganze Problematik auch in der Gruppe durchleiden. Mit einem Unterschied: Die Gruppe wird es nicht beim Leiden bewenden lassen. Sie wird versuchen die Mechanismen aufzudecken: Was ist da gerade passiert? Warum ist es passiert? Und: Wie geht es den einzelnen dabei?

Sich eine ehrliche Antwort auf diese Fragen zu geben, führt auf den Grund der Probleme: Das eigene Verhalten mit seinen Gründen wird bewusst gemacht. Das fällt nicht leicht, denn es ist einfacher, sich als “Opfer” zu sehen, denn als Teil der eigenen Problematik.

Der Impuls, eigene Verantwortung abzuwehren, muss bekämpft werden. Das erfordert Geduld. Phasen der Stagnation und des Fortschritts wechseln sich ab. Aber am Ende winkt ein entsprechender Lohn: die Versöhnung mit der eigenen Situation, die Rückgewinn der inneren Ruhe und ein Zugewinn an Selbstvertrauen.

Welche Regeln sind nützlich?

Für Gruppenregeln gilt:

  • so wenig wie möglich
  • so einfach wie möglich
  • sie sollen sich möglichst aus den Erfahrungen der Gruppe herleiten

Folgende Regeln könnte eine Selbsthilfegruppe z. B. festlegen:

  • Es spricht nur einer, die anderen hören zu!
  • Wir fangen pünktlich an und hören pünktlich auf!
  • Störungen haben Vorrang!
  • Ich spreche über mich - nicht über andere (“Ich” statt “man”, “du” oder “die”)!
  • Ich spreche mit den Gruppenmitgliedern - nicht über sie!
  • Jeder ist für sich verantwortlich - nicht für den anderen!
  • Über Meinungen kann man diskutieren - über Erfahrungen nicht!
  • Sprich nicht über Außenstehende - sprich über deine Gefühle, Gedanken oder Verhaltensweisen!
  • Gefühle werden nicht bewertet, kritisiert oder beschwichtigt - einfach stehen lassen!
  • Keine Ratschläge!
  • Keine “W”-Fragen - sie führen von Gefühlen weg, statt zu ihnen hin!
  • Jeder findet seine Lösung - nicht drängen!

Wer leitet eine Selbsthilfegruppe?

Selbsthilfegruppen haben keinen Leiter von außen. Sie leiten sich selbst. Einige Gruppen bestimmen einen formellen Leiter, der die Gruppentreffen moderiert, andere funktionieren ganz ohne Leitungsposition. Ohne Leitung heißt nicht ohne Führung: Denn in diesem Falle müssen die Gruppenmitglieder ein entsprechendes Maß an Verantwortung mitbringen. Sie müssen quasi gemeinsam das Gruppentreffen moderieren.

Beide Modelle haben Vorzüge und Nachteile:

Feste Moderation

klare Aufgabenverteilung;

die Mitglieder werden von bestimmten Aufgaben entlastet;

es hängt sehr stark von einer Person (und seiner “Tagesform”) ab, ob die Gruppe funktioniert;

die Verantwortung für das Funktionieren der Gruppe wird an eine Person abgegeben.

Spontane Führung

Wer die Gruppenprozesse aus dem Ruder laufen sieht, schreitet ein und regt die Klärung des weiteren Vorgehens an.

Es wird immer der von den anderen als Führung anerkannt, der gerade den besten Beitrag für die Gruppe leistet.

Es wird demokratisch entschieden; alle haben die gleiche Verantwortung für die Gruppe.

Es kann vorkommen, dass niemand sich verantwortlich fühlt und deshalb “kollektive Verantwortungslosigkeit” herrscht.